Hartz IV „hat Geburtstag“, denn vor 15 Jahren trat das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen“, dem damals leider auch die Grünen zugestimmt haben, in Kraft.
Das war Grund genug für die Lippstädter Grünen zusammen mit Geschäftsführer Martin Steinmeier und dem Fachbereichsleiter Integration, Michael Hammerschmidt, aus dem Führungsteam von Arbeit Hellweg Aktiv in Soest einmal einen Rückblick zu wagen. Hartz IV ist nach dem Karlsruher Urteil gegen harte Sanktionen wieder in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Sanktionen werden am häufigsten wegen Meldeversäumnissen ausgesprochen. Zum Stichtag 05.11.2019 waren im gesamten Kreis Soest 38 Sanktionen höher als 30% des Regelsatzes wirksam. Die höchsten Sanktionsquoten weisen Jüngere unter 25 Jahre auf, die niedrigsten zeigen sich bei Älteren, über 55 Jahre. Der Anteil der Sanktionen mit geringeren Leistungskürzungen ist seit 2007 bundesweit kontinuierlich gestiegen. Sorgen bereitet AHA, dass mehr und mehr Jüngere in den letzten Jahren Orientierungs- und Motivationsprobleme zeigen. Die Grünen fragen, wie Sanktionen wirken, ob eher demotivierend oder aktivierend? Die Karlsruher Richter haben diese Frage nicht eindeutig beantworten können, sodass für Wilhelm Rönnau und Heinz Gesterkamp das Prinzip der Unterstützung und nicht das der Bestrafung im Mittelpunkt stehen muss.
Obwohl die Erwerbstätigkeit in Deutschland zuletzt einen Rekordwert mit 45,2 Millionen erreichte, ist die Zahl der Personen, die in Lippstadt dem „harten Kern“ der Erwerbslosen zuzurechnen sind, leider stabil. Gleichzeitig ist die Zahl der erwerbstätigen Leistungsberechtigten hoch, denn die Einführung des Mindestlohns 2015 hat sich nicht stark bemerkbar gemacht. So machen Beschäftigte mit einem niedrigen Monatseinkommen von 450,- € bundesweit mit rund 40 % einen großen Anteil der Aufstocker aus. Im Kreis Soest arbeiten rund 14.400 Vollzeit-Beschäftigte zum Niedriglohn. Für Wilhelm Rönnau und Heinz Gesterkamp Ist der Niedriglohnsektor, der bereits ein Viertel der Beschäftigten umfasst, das Einfallstor für heutige Erwerbs-, Familien- und Kinderarmut sowie für spätere Altersarmut und zugleich hat Hartz IV Druck auf das Lohnniveau ausgeübt.
Die Zahl der Kinder unter 18 Jahren in Bedarfsgemeinschaften ist im vergangenen Jahrzehnt leider nicht kontinuierlich zurückgegangen. Es zeigt sich sogar ein leicht aufwärtsgerichteter Trend. 1752 Kinder aus Lippstadt bekommen Grundsicherung – und die ist viel zu niedrig!
„In unserer Gesellschaft, wo die Orientierung am Konsum einen hohen Stellenwert hat, stehen die Kinder, für deren Grundbedürfnisse nicht ausreichend gesorgt ist, vollkommen außen vor. Mir fällt auf, dass sich arme Kinder oft für ihre Wünsche entschuldigen. Sie rechtfertigen ihre Notsituation, sie geben niemandem die Schuld, sie leiden oft still. Sie sind für uns andere sehr bequem“, stellt Heinz Gesterkamp fest. „Und Kinderarmut birgt vor allem die Gefahr, dass sie an die nächste Generation weitergeben wird und arme Kinder in ihren Kompetenzen unterschätzt werden“.
Ein Erfolgsmodell des Jobcenters ist das Angebot für Personen, die in den vergangenen sieben Jahren mindestens sechs Jahre lang Leistungen nach dem SGB II bezogen haben und nun auf dem ersten Arbeitsmarkt Arbeit gefunden haben, weil die Arbeitgeber durch einen bis zu fünfjährigen Lohnkostenzuschuss gefördert werden. In den kommenden eineinhalb Jahren wird das Jobcenter ca. 100 Frauen und Männer dieses Personenkreises mit hohen Lohnzuschüssen von bis zu 100 Prozent, mit Weiterbildungsförderungen und Coachings so unterstützen, dass sie eine Arbeit aufnehmen können.
Erfreulich für die Besucher aus Lippstadt ist das besondere Engagement von AHA für die fast 1900 Alleinerziehenden im Kreis Soest, davon leben 468 in Lippstadt, sowie die engen Kontakte der Behörde zu Familienzentren, Berufskollegs, Schwangerschafts- und Konfliktberatungen, Einrichtungen der Jugendhilfe und Suchtberatungsstellen.
Für die beiden Grünen hat Hartz IV das soziale Klima in unserem Land verändert. Es heißt oft, Menschen grenzen sich von Hartz IV- Empfängern ab, reißen Witze über sie, vermeiden Kontakte. „Dahinter steckt die pure Angst, selbst bald betroffen zu sein. Der bekannte Bielefelder Gewaltforscher Heitmeyer spricht von „roher Bürgerlichkeit“, deutet W. Rönnau die Abwertung der Empfänger*innen von Hartz IV und er befürchtet, dass die Solidargemeinschaft der Bürger*innen auseinandergebrochen sei.
Dagegen geht die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt erfolgreich weiter: 2018 waren es schon 462, ein Jahr später 516.
Die beiden Grünen plädieren wie Robert Habeck für eine sanktionsfreie Garantiesicherung in Deutschland und bis die kommt, fordern sie Reformen bei Hartz IV. So schlagen sie eine bessere soziale Absicherung langjährig Berufstätiger vor, die Regelungen zum „Schonvermögen“ zu überprüfen, die Anrechnungsregelungen zum Hinzuverdienst zu ändern, stärker Pauschalisierungen bei den Kosten für Warmwasser und Heizung sowie vor allem für Kinder und Jugendliche im Bereich von Bildung und Teilhabe einzuführen, die aber nicht zu gering sein dürfen sowie Fördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose drastisch auszuweiten.
Doch die Wurzeln der Probleme liegen nach Ansicht der Grünen nicht allein in den Regelsätzen, den Sanktionen und oder Ausstattung der Jobcenter, sondern im Arbeitsmarkt selbst. Eine Verbesserung von Hartz IV muss unbedingt einhergehen mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und mit höheren Löhnen. Sinnvoll wäre hier auch eine stärkere Tarifbindung, insbesondere im Niedriglohnsektor, und eine schnelle Erhöhung des Mindestlohnes auf mindestens 12,- €.