Die Lippstädter Grünen unterstützen das Anliegen von Prof. J. Overhoff, das Gebäude der ehemaligen Synagoge an der Stiftsruine mit neuem Leben zu erfüllen und freuen sich über die Entscheidung des Stadtrates, endlich auch in Lippstadt Stolpersteine zu legen.
Wir hoffen sehr, dass der Musiker und Kurator Dirk Raulf mit seinem Projekt „heimat.kunden“ großen Erfolg damit hat, vergessene Orte wie die ehemalige Synagoge wieder in den Blickpunkt zu rücken. Das sind für uns wichtige Zeichen gegen den zunehmenden offenen Antisemitismus in unserer Gesellschaft, so wie auch der Besuch der Kanzlerin in Auschwitz zur richtigen Zeit kam.
„Als mich die Nachricht aus Halle erreichte, war ich sehr erschrocken, aber nicht sehr überrascht, denn seit Jahren warnen Juden vor diesen Entwicklungen. Und niemand hört ihnen zu. Sie warnen davor, dass Antisemitismus längst wieder salonfähig geworden ist, aber nur wenige glauben ihnen. Im Gegenteil, sie werden dann gern als „überempfindlich“ abgewertet“, stellt Heinz Gesterkamp fest. Doch Nichtjuden wollen selten einsehen, dass nur Juden wirklich wissen, wie sich das Leben als Jude in Deutschland anfühlt. „Sie hören die antijüdischen Äußerungen in unserem Alltag, sie erleben die zunächst schleichende, inzwischen galoppierende Verschärfung der Lage hautnah. Auf der Straße, aber auch im privaten Umfeld und im Beruf. Überall – und nicht nur von Rechtsextremen und Neonazis“, ergänzt OV-Sprecher Holger Künemund.
In Lippstadt leben vielleicht ein Dutzend Juden, die sich aber untereinander nicht alle kennen und die auch nicht unbedingt erkannt werden möchten. Die meisten von ihnen haben auch keinen oder nur wenig Kontakt zur Jüdischen Kultusgemeinde in Paderborn, die sie betreuen würde. Der Antisemitismus ist längst wieder in der Mitte der Gesellschaft, nein, nicht „angekommen“, denn er war ja nie weg, ist sich Heinz Gesterkamp sicher. Er ist einfach wieder hervorgekrochen aus seinen Löchern, er ist überall präsent, und wir sehen, lesen und hören ihn, egal, ob es sich um antisemitische Karikaturen oder Verschwörungstheorien handelt, egal, ob im Netz oder in gepflegten Kreisen über die „Allmacht der jüdischen Lobby“ oder über den Reichtum der Juden fantasiert wird.
„Welche Rolle spielt dabei die AFD? Und strahlt das Erstarken des Antisemitismus bis in die Kommunalwahl im September hinein?“
Nach Wahlen werden immer Gründe gefunden, warum Menschen für die AfD stimmen: fehlende Busse, zu viele Windräder, zu viele Muslime… Ein anderer ist vielleicht naheliegender. Und anstatt den naheliegenden Gedanken in Betracht zu ziehen, dass der, der einen Rechtsextremen wählt, möglicherweise selbst einer sein könnte, werden laufend psychologische Erklärungen herangezogen. Seit einiger Zeit wird vor allem der quasi therapeutische Ansatz betont, man müsse einfach mehr zuhören und diese Menschen würden dann nicht mehr rechtsextrem sein und nicht mehr so wählen. Und wir tun so, als sei die Ausgrenzung von Antidemokraten schlimmer als es die Antidemokraten selbst sind mit ihrem Antisemitismus, ihrer Ausländerfeindlichkeit, der Homophobie oder der Leugnung des Klimawandels und Verächtlichmachung der liberalen Demokratie. Und weil man ihnen nicht genug zuhöre, sei ihr Frust inzwischen so groß, dass der Wähler aus Verzweiflung gar nicht mehr anders könne, als AfD zu wählen.
Nun ist es vielleicht im Einzelnen schon wichtig zu klären, woher die „bürgerliche Verrohung“, so Extremismusforscher Prof. Heitmeyer aus Bielefeld, kommt, die einen dazu bringt, in Thüringen für eine offen rassistische und offen antidemokratische Partei zu stimmen, an deren Spitze ein selbsternannter Rechtsextremer steht. Aber für die fast 25 Prozent der Wähler in Thüringen, die die AfD und damit Höcke gewählt haben, den wir laut Gerichtsbeschluss Faschist nennen dürfen, sollten uns auch Monate später noch immer die Worte fehlen. Die meisten AfD-Wähler wählen die AfD aus Überzeugung, seit die Zahl der Protestwähler abgenommen hat und die AfD ihr Klientel konsolidiert hat.
Die Existenz jüdischer Gemeinden in Deutschland ist eine Messlatte für eine offene und tolerante Gesellschaft. Vor einem Jahrzehnt galt die Bundesrepublik als Einwanderungsland für Juden, heute wissen viele von ihnen nicht, ob sie nicht zur Zielscheibe von Nazis oder Islamisten werden. „Die sprichwörtlichen Koffer sind schon lange ausgepackt und ausgeleert, stehen bei vielen Juden in Deutschland aber noch auf dem Dachboden“, sagt Michael Brenner, Professor für jüdische Geschichte und Kultur in München, und fragt: „ Müssen wir sie jetzt wieder herunterholen? Es ist an der Zeit zu überlegen, was wir hineinpacken“, und Holger Künemund fügt hinzu: „wenn wir Demokraten nicht die Demokratie und die offene Gesellschaft verteidigen“.
Die Grünen wünschen ein starkes öffentliches Interesse, wenn hoffentlich bald der erste Stolperstein in Lippstadt gelegt wird und das Projekt von Dirk Raulf losgeht.