Arm trotz Arbeit

Das Engagement der „Tafel“ ist in Lippstadt weiterhin bitter nötig, wo doch der Caritas–Verband im Erzbistum Paderborn gerade festgestellt hat, dass Menschen, die lange erwerbslos sind, so gut wie gar nicht aus Hartz IV herauskommen. Der „Kinderschutzbund“ und ein Grüner haben es in den letzten Tagen geschafft, dass aktuell wieder intensiver über Armut geredet wird: der Kinderschutzbund fordert eine Kindergrundsicherung und Robert Habeck eine sanktionsfreie Garantiesicherung für alle. In einem Papier für das Grundsatzprogramm rechnete der Vorsitzende der Grünen rigoros mit dem Hartz IV- Programm ab, das aus seiner Sicht auf Demütigung von Menschen ausgerichtet sei. An seine Stelle solle ein Hilfssystem treten, das tatsächlich existenzsichernd ist und das auf Anreize statt auf Bestrafung setzt.

„Die Kritik an armen Menschen lebt bisher von Klischees: Arme sind vor allem arbeitslos, ungebildet und kinderreich, unter ihnen sind nicht selten Migranten. Und sie alle wollen nur von „Stütze“ leben“, hören Heinz Gesterkamp und Wilhelm Rönnau von den Lippstädter Grünen gar nicht selten: „Dabei haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut in diesen Tagen im „British Medical Journal“ eine Studie veröffentlicht, der zufolge Arbeitslosigkeit das Sterberisiko verdoppelt.“

Erwartungsgemäß sind unter den Erwerbslosen die meisten Armen. Sie sind fast zu 63 % von Armut betroffen, bei Menschen mit niedriger Qualifikation gibt es mit knapp 30 % ebenfalls überdurchschnittlich viele Arme wie bei Menschen mit Migrationshintergrund mit 27 %.

Aber auch fast jeder 10. Arbeitnehmer ist arm. Das macht der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes deutlich. „ Die meisten erwachsenen Armen sind entweder erwerbstätig, in Ausbildung oder schon in Rente. 37 % von ihnen sind erwerbstätig, 7,5 % machen gerade eine Ausbildung und 24 % sind in Rente. Der Hinweis, bei den erwerbstätigen Armen handele es sich doch sicher zumeist um Minijobber, geht ins Leere. Nur 25 % von ihnen sind teilzeitbeschäftigt, fast 40 % in Vollzeit erwerbstätig und fast 11 % in Ausbildung. Stattdessen fällt aber ein deutlich höherer Anteil an Leih- und Zeitarbeitern unter den Armen auf. Fast 40 % aller armen Erwerbstätigen in Deutschland sind inzwischen nur befristet beschäftigt. Es geht also inzwischen auch um die vielen „working poor“ – um Menschen, die trotz Arbeit arm sind. Das sind zunächst einmal nur viele dürre, leblose Zahlen. Doch hinter ihnen verbergen sich konkrete Menschen mit der Sorge, der Arbeitsvertrag könnte nicht verlängert werden, der Lohn wieder nur für drei Wochen reicht, eine Mieterhöhung und unbezahlte Rechnungen lägen auf dem Küchentisch. Darunter sind  Alleinerziehende mit geringem Lohn und vor allem viele Kinder, die in den vergangenen Jahren aus dem „Teilhabepaket“ z.B. keine oder viel zu spät Nachhilfe bezahlt bekamen und deren Eltern von den Formularen des Bildungs- und Teilhabegesetzes oft überfordert waren oder sich schämten, sie überhaupt auszufüllen… „ Sinnvoll ist es den beiden Grünen zufolge, in Lippstadt den erfolgreichen Familienpass im neuen Haushaltsetat zu stärken, aber zugleich bundesweit den Eltern pro Schuljahr eine ausreichende Pauschale für Schule, Sport und Kultur direkt zu überweisen: „Nach unserer Erfahrung geben die allermeisten Eltern das Geld auch sinnvoll für ihre Kinder aus“, stellen Wilhelm Rönnau und Heinz Gesterkamp fest. Noch besser wären eine Kindergrundsicherung sowie eine mutige und entschlossene Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die die grassierende „Armut mit Arbeit“ endlich in den Fokus nimmt. Um den arbeitenden Armen ein würdiges Leben zu ermöglichen, müsste für die beiden Grünen als erstes der gesetzliche Mindestlohn auf 12,- € angehoben werden wie schon in dem kleinen Nachbarland Luxemburg.