Bürgerversicherung:

Die Diagnose ist gestellt, aber wann beginnt die Therapie?
Schon seit Jahren fordern die Grünen die Bürgerversicherung, um die Zwei-Klassen-Medizin abzuschaffen. Sie wollen damit das deutsche Gesundheitssystem gerechter machen. Als besonders großes Übel betrachten sie die ungleiche Behandlung von Kassenpatienten und Privatpatienten. „Gesundheit darf nicht vom Geldbeutel der Kranken abhängig sein“, so Ortsverband-Sprecher Holger Künemund.

Dieser Entwicklung wollen die Grünen entgegen treten, ebenso wie es die SPD in den Sondierungsgesprächen erreichen wollte. „Denn zu oft ist es so, dass das Einkommen darüber entscheidet, wie gut ein Mensch medizinisch versorgt wird. Wer arm ist oder Schulden hat, geht nachweislich weniger oft zum Arzt. Viele Menschen haben große Schwierigkeiten, die Zuzahlungen für Medikamente und Hilfsmittel aufzubringen. Insbesondere Zahnbehandlungen sind nicht billig und erfordern hohe Zuzahlungen, wenn man nicht durch teure Zusatzversicherungen vorsorgen kann.“, so Ratsmitglied Holger Künemund.

„Und wer alt ist, braucht erst recht ein Polster. Familien mit wenig Geld trifft ein Pflegefall oft besonders hart. Sie können sich keine private Pflegekraft zuhause leisten. Selbst für Menschen, die ihr ganzes Leben lang erwerbstätig waren, muss am Lebensende oft das Sozialamt das Bett im Altenheim bezahlen“, unterstützt Heinz Gesterkamp aus dem Ausschuss für Jugendhilfe und Soziales. Neben der Vielzahl alter Menschen, die aufgrund ihrer geringen Rente einen Anspruch auf Pflegewohngeld haben, erhalten in Lippstadt laut Verwaltung knapp 300 betroffene pflegebedürftige Menschen darüber hinaus weitere Heimkostenübernahmen durch das Sozialamt.

Rund zweidrittel aller Bundesbürger sind laut WDR-Information für eine Bürgerversicherung und die Krankenkassen haben beträchtliche Reserven angelegt. Es ist wichtig, in Zukunft ein solidarisches Krankenkassensystem einzuführen, das auch wohlhabende BürgerInnen an den Gesundheitsausgaben beteiligt. Auf lange Sicht soll die Bürgerversicherung ja bewirken, dass die Sozialabgaben für alle erschwinglich bleiben.

Es erweckt den Anschein, dass die Verhinderung des Einstiegs in eine Bürgerversicherung an einer Union liegt, die die Privilegien der Privatpatienten und die Interessen der privaten Krankenkassen fest im Blick hat. „Wir möchten die vielen konkreten Probleme vor Ort wie den Hausärztemangel, aber auch den Pflegenotstand ernsthaft in den Blick nehmen“, so die Sprecher der Öko-Partei. In vielen Regionen haben die Kranken das Problem, überhaupt einen zeitnahen Arzttermin zu bekommen, denn es fehlen MedizinerInnen. Um allen Bürgern den gleichen Zugang zum Gesundheitssystem zu gewähren, braucht es kluge Lösungen, besonders für ländliche Räume – und auch in Lippstadt fehlen schon jetzt Hausärzte und in absehbarer Zeit werden weitere Praxen in Lippstadt schließen, deren Nachfolge noch nicht gewährleistet ist. Inzwischen ziehen auch Ärzte aus Mittelosteuropa, wenn sie die Wahl haben, die Schweiz oder Norwegen, ja sogar Großbritannien als Land, in dem sie praktizieren wollen, vor. Helfen könnten hier Kooperationen mit Krankenhäusern, in denen auch Hausärzte praktizieren.

Ein weiteres dringendes Problem sehen die Grünen im Fachkräftemangel in den Pflegeheimen, die sich inzwischen sogar mit Personal von Leih- und Zeitarbeitsfirmen aus dem Ruhrgebiet behelfen. Hier bedarf es nun eines energischen Gegensteuerns der Politik, das ausreichend festes und angemessen bezahltes Personal fördert, den viel zu geringen Pflegeschlüssel korrigiert und die psycho-soziale Betreuung endlich ernst nimmt. Auch die aufwendige bürokratische Dokumentation geht zu Lasten der Betreuungsqualität der BewohnerInnen und sollte aus Sicht der Lippstädter Grünen dringend hinterfragt werden. Als nächsten Schritt erwarten die beiden Grünen sehr bald Gespräche der Wirtschaftsförderung mit dem Lippstädter Ärzteverein um die Situation vor Ort realistisch einschätzen zu können und ggf. Maßnahmen zur Gegensteuerung einzuleiten. Denn die gesundheitliche Versorgung wird in den kommenden Jahren ein weiter entscheidender und nicht zu unterschätzender Standortfaktor sein.

Heinz Gesterkamp, Holger Künemund