Die Freiheit der Kunst ist nicht in Gefahr

Leserbrief von Manfred Groß-Bölting
zum »Patriot«-Artikel vom 30. März 2017 „Rückfall in Margot Honeckers DDR-Zeiten“

Eigentlich wollte ich dazu schweigen. Doch die vielen Kommentare haben mich aufgeweckt und bewegt. Herr Dr. Georges hat falsch gedacht, ob aus Einfalt, Spontaneität oder Kalkül.

In totalitären Regimes werden unangepasste Künstler verboten, verfolgt, denunziert, vertrieben oder eingesperrt; ihre Kunst wird der Öffentlichkeit vorenthalten, ideologisch bekämpft, als entartet diffamiert oder zerstört. Dieses zu kritisieren, wie im Ausspruch von Max Liebermann geschehen, ist mutig und notwendig.

Doch es gibt bei uns gegenwärtig kein Berufsverbot für Künstler, keine Verfolgung und Vertreibung, wohl aber den kritischen Diskurs über Kunst und ihre Wertigkeit, wie wir auch in Lippstadt in der Diskussion um die „Kunst im öffentlichen Raum“ wahrgenommen haben. Künstler können ausstellen, schreiben, darstellen und gestalten, ohne Repressionen oder Verboten ausgesetzt zu sein. Und wenn in Lippstadt ein demokratisch gewähltes Gremium wie der Schul – und Kulturausschuss auf der Grundlage eines Kulturkonzepts und einer ausführlichen kontroversen Diskussion in verschiedenen Gremien außerhalb politisch legitimierter Organe eine Entscheidung bzgl. der Kunst im öffentlichen Raum trifft, so hat das mit der Kunstpolitik eines NS-Staates nichts gemein. Denn mit dieser Entscheidung wird kein Künstler in seiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt, keine Kunst wird diffamiert oder verboten, vielmehr wird das getan, was ein Kulturausschuss in Rahmen seines kulturpolitischen Auftrags im öffentlichen Raum zu tun hat. Und das geschieht ständig in Lippstadt ebenso wie in anderen Städten.

In der Vorstellung von Herrn Dr. Georges hinsichtlich der Freiheit von Kunst und Künstler in der Gesellschaft wird die Dialektik von Individuum und Gesellschaft einseitig zugunsten des Individuums aufgelöst, was in seiner Kritik an der Entscheidung des Schul- und Kulturausschusses zum Ausdruck kommt. Dieser soll als politisches Gremium nicht über Kunst im öffentlichen Raum entscheiden. Umgekehrt erfolgt in diktatorischen Staaten einseitig die Auflösung zugunsten eines totalitären gesellschaftlichen Anspruchs, dem der Künstler als Individuum unterworfen ist. Beides ist fatal, sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft. Das gilt übrigens auch für alle anderen Bereiche gesellschaftlichen Lebens. Der radikale Liberalismus führt nicht zu einem konstruktiven Dialog zwischen Individuum und Gesellschaft, sondern zerstört deren Einheit. Das gesellschaftliche Leben ist komplexer und komplizierter, als einfache Lösungen suggerieren.

Aber die Bemerkungen von Herrn Dr. Georges haben auch etwas Gutes: Viele verträumte Demokraten werden wach und erkennen, dass man gegen die einfachen Lösungen, wie sie auch Populisten formulieren, etwas tun kann.

Berufsverbote sind, wie die FDP-Kollegen Wolf und Klostermeyer in ihrem Leserbrief vom 4. April schreiben, richtigerweise kein angemessenes Mittel, vielleicht aber ein paar Besinnungstage.

Manfred Groß-Bölting