Was tun gegen verfestigte Armut?

Die Lippstädter Grünen sind besorgt über die Tatsache, dass sich die Armut in Deutschland auf dem höchsten Stand seit der Wiedervereinigung befindet. Sie verweisen auf die Ergebnisse des jährlichen Armutsberichts des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die der Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider in Berlin vorgestellt hat. 12,5 Millionen Menschen gelten in Deutschland als arm. Offiziell ist das jeder, der weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Und das trotz des anhaltend hohen Wirtschaftswachstums in Deutschland.

Wir Grüne wissen wohl, dass Armut ‚relativ‘ ist. Wer schon mal, beispielsweise in Afrika war, der weiß, was Armut auch bedeuten kann. Aber: wenn offenbar ganze Bevölkerungs-Gruppen nicht mehr am steigenden Wohlstand teilhaben können – in einem der reichsten Länder der Welt, dann sollte man sich schon fragen, wie das sein kann.

„Vor allem um vier Gruppen müssen wir uns auch in Lippstadt Sorgen machen: um die Allein-erziehenden, die Rentner, die Kinder und die Asylbewerber“, so Ortssprecher Holger Künemund. „Das Schlimme: Alle vier Gruppen können ihre Lage aus eigener Kraft kaum verbessern. Die Alleinerziehenden möchten und müssen auf ihre Kinder Rücksicht nehmen und haben dadurch Schwierigkeiten im Berufsleben, viele asylsuchende Flüchtlinge unterliegen einem restriktiven Arbeitsverbot, die Rentner haben ihr Arbeitsleben abgeschlossen und sollten eigentlich im Zuge des Generationenvertrages von den Jüngeren ausreichend versorgt werden. Und im Regelsatz für Hartz IV sind nur 6,73 € für die Gesundheitspflege eines Kindes vorgesehen.“ Heinz Gesterkamp, der sozialpolitische Sprecher der Lippstädter Grünen, verweist darauf, dass die Stadt im Jahre 2007 2,75 Mio. € an den Kreis Soest zur Gewährung der Grundsicherung für alte und behinderte Menschen überwiesen hat und es im Jahre 2013 schon 4,06 Mio. € gewesen sind (seit dem 01.01.2014 übernimmt der Bund die Kosten für SGB XII). Und in den nächsten Jahren werden noch mehr alte Menschen staatliche Hilfe benötigen. Die beiden Grünen warnen, dass die Feststellung „Armut ist relativ“ nicht zum „Nichts-Tun“ einladen dürfe.

Armut lässt sich mit statistischen Methoden allein nur schwer fassen: Jeder wird eine Familie mit zwei Kindern kennen, die mit ihrem Monatseinkommen unter die aktuelle Armutsschwelle von 1872 Euro fällt – und doch würdevoll und anständig durchs Leben kommt. Und er wird eine Familie kennen, die darüber liegt und trotzdem arm ist, arm an sozialen Kontakten und an Bildung. Aber materielle Armut ist kein Luxus-Problem, das sich von selbst erledigt, wenn nur die Konjunktur besser in Fahrt kommt. Armut ist real, ein gesellschaftliches Problem, das aktiv und koordiniert bekämpft werden muss.

„Inzwischen hat sich die steigende Armut anscheinend vollends losgelöst von der wirtschaftlichen Entwicklung. So hat die relative Not nicht nur im Krisenjahr 2009 zugenommen, sondern auch in den nachfolgenden Jahren des ökonomischen Wachstums. Die Schulsozialarbeit, die Offene Ganztagsschule oder der Familienpass z. B. sind in Lippstadt wirklich erfolgreich, präventive Politik bleibt weiterhin erforderlich, auch wenn sich ihr Gewinn nicht sofort zeigt.

„Ein stabiler Mindestlohn ohne Ausnahmen, mehr Hartz-IV für Kinder und das Wohngeld anzuheben sowie eine großzügige Erteilung der Arbeitserlaubnis für Asylbewerber in Lippstadt wären weitere Hilfen, aber der Staat muss gleichzeitig viel mehr in Ausbildung und Bildung sowie Betreuung investieren, vor allem in die frühkindliche Betreuung. Es gibt noch immer keine bessere Versicherung gegen Armut und Ungleichheit als diese Schwerpunkte zu setzen“, so die Öko-Partei. Wenn Kinder unter Armutsbedingungen um ihre Chancen gebracht werden, ist das ein Skandal, deshalb müssen Mehrkindfamilien und Alleinerziehende stärker gefördert werden.

Wenn aber die Armut trotz sprudelnder Steuereinnahmen, niedriger Zinsen, einer guten Auftragslage und einer hohen Beschäftigtenzahl nicht mehr sinkt, sondern sich verfestigt, dann halten die beiden Grünen neben den sozialstaatlichen Maßnahmen eine echte gesellschaftliche Wende für nötig, nämlich endlich die Debatte über ein Grundeinkommen zu führen und über die sogenannte Grüne Wachstums-Ökonomie nachzudenken, die die Lebensqualität unter gerechten Bedingungen für alle verbessert und dabei so wenige Ressourcen wie möglich verbraucht. Nur dann werden zukünftige Generationen in Würde leben können, in der Bundesrepublik – und weltweit. Und nicht wenige Menschen wollen heraus aus dem Hamsterrad von hektischem Arbeiten und Kaufen. Familie, Freundschaft, Gemeinschaft sind für viele hohe Werte. Und bei jungen Leuten steht der Schutz von Mensch, Tier und Natur in der Werteskala ziemlich weit oben. Das ist die Chance für die Politik und die Zivilgesellschaft, den Anfang zu wagen für ein nachhaltiges und gerechteres Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell. Sonst dürfte der Deutsche Kinderschutzbund mit seinem Präsidenten Hilgers Recht bekommen, der für das Jahr 2030 prognostiziert, dass die Hälfte aller Kinder in Deutschland arm sein wird und von staatlichen Transferleistungen leben muss.

Heinz Gesterkamp, Holger Künemund