Der Lippstädter Ratsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist natürlich immer bewusst gewesen, dass die Stadt Lippstadt seit 2004 ein Zinsmanagement einsetzt. Allerdings, was jetzt an Geschäften durch den Bericht der Rechnungsprüfung publik wird, dass schockt.
In Lippstadt wurden wegen der laufenden positiven Verwaltungsberichte über „Erträge, und damit verbundenen Einsparungen im Zinsaufwand“, riskante Zinswetten nicht vermutet. Und erst recht nicht in dem im Rechnungsprüfungsbericht genannten Umfang, mit aktuellen negativen Marktwerten von über 12,798 Mio. Euro per 31.12.2011. Erst durch den vom Rat beschlossenen Prüfungsauftrag an die örtliche Rechnungsprüfung ist die volle Höhe der negativen Lippstädter Marktwerte dem Rat überhaupt bekannt geworden.
Riskante Zinsgeschäfte müssen detailliert untersucht werden
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dankt der Rechnungsprüfung für ihren informativen Bericht mit den umfangreichen Erläuterungen der Geschäfte. Dem Fazit der Rechnungsprüfung schließt sich die Fraktion ausdrücklich an. Die Grünen wollen, so wie es der Bericht der Rechnungsprüfung vorschlägt, jegliche rechtlichen Möglichkeiten in Betracht ziehen, um drohende Vermögensschäden der Stadt zu mindern. Bereits im Februar haben wir in einem Ratsantrag beantragt, Schadensersatz und Regressansprüche gegen die handelnden Personen zu prüfen.
Nach ausführlicher Befassung mit der Gesamtthematik der Schuldenportfolio Beratung kommen die Grünen zu einer völlig anderen Bewertung als die Verwaltungsspitze.
Erstens sehen sie, anders als diese, den Grundsatzbeschluss des Rates vom 17. 11. 2003 nicht als ausreichende und umfängliche Grundlage für viele getätigte Risikogeschäfte der Verwaltung. Die Zulässigkeit verschiedener Geschäfte, wie z. B. den CHF – Geschäften, ist zweifelhaft. Ab dem Strategiewechsel am 1. 1. 2008 zur Schulden Portfolio Beratung ist das Limitsystem zudem modifiziert worden und auf Wunsch der Stadt an die neuen Gegebenheiten angepasst worden. Auch deshalb deckt der Beschluss nicht die seitdem getätigten Geschäfte ab.
Zweitens sieht sich die Fraktion getäuscht durch die jahrelangen verschleiernden Berichterstattungen im Haupt- und Finanzausschuss. Ein besonders gravierendes Beispiel ist, dass noch im Juli 2011 in der Vorlage und im Protokoll für die Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 11. 7. 2011, über negative Marktwerte im Millionenbereich nicht berichtet wurde. Die rasant steigenden negativen Marktwertentwicklungen wurden verschwiegen, obwohl die dem Ratsbeschluss vom 17. 11. 2003 zugrunde liegenden Management – Richtlinien zum Schulden Portfolio Management Vertrag der Stadt Lippstadt (Anlage 2), in Ziffer 5 den Erfolg des Schuldenmanagements nach den beiden Komponenten „Cash Balance“ und „Veränderung des Marktwertes des Derivatportfolios“ beschreiben. Eine notwendige Drohverlustrückstellung für CHF – Geschäfte wurde, trotz des der Verwaltung schon am 11. 7. 2011 bekannten Sachverhaltes, erst im interfraktionellen Gespräch am 7. 11. 2011 erwähnt.
Die Einpreisungen von Verlusten bei Prolongationen in Folgegeschäfte (der Verlust wurde über das Folgegeschäft bezahlt) sind dem Haupt- und Finanzausschuss vorenthalten worden, indem nur von Erträgen (Ausnahme geringer Verlust in 2007) in den Berichten für den Haupt- und Finanzausschuss geschrieben wurde. Die reale Wertsituation des Portfolios wurde so kaschiert. Der Haupt- und Finanzausschuss ist völlig unzureichend informiert worden.
Es muss bezweifelt werden, dass der Rat mit seinem Beschluss in 2003 Geschäfte der Risikoklasse 2, in der 11 Geschäfte der Stadt einzuordnen sind, legitimieren wollte. Geschäfte der Risikoklasse 2 entsprechen überhaupt nicht der von der Stadt dem Rat mitgeteilten „konservativen und risikoarmen Struktur der Einzelgeschäfte und des gesamten Derivatportfolios“ (H. u. F., 2. 6. 2009, Seite 2).
Die Grünen stellen hierzu zusammenfassend fest:
- Die Berichterstattungen im Haupt- und Finanzausschuss haben demokratischem Informationsverhalten nicht entsprochen
- Hinsichtlich des Erfolges sind nur Teilinformationen erfolgt, die bis auf 2007 immer positive Ergebnisse enthielten. Risiken wurden höchstens allgemein angedeutet, obwohl eine umfassende Informationspflicht der Verwaltung besteht und in 2003 beschlossen wurde.
- Die Dimensionen der Derivatgeschäfte sind durch das WRG Gutachten aus Juli 2011 überdies in ihrer vollen Dimension heruntergespielt geworden. Das Gutachten vermittelt in seinem Text den Eindruck, es gäbe nur drei problematische CHF -Geschäfte mit negativem Marktwert. Nach den detaillierten Untersuchungen der Rechnungsprüfung beziffern heute auch die WRG und die Verwaltung den Rückstellungsbedarf mit rd. 2,7 Mio. Euro.
- Die Verwaltung hat den Rat nicht über den seit 2006 existierenden Krediterlass, der für die Verwaltung bindend ist, unterrichtet. Erstmals in der Hauptausschussvorlage für den 11. 7. 2011 wurde beiläufig die Existenz eines solchen Erlasses erwähnt.
- Der Verfasser des von der Stadt beauftragten Rechtsgutachtens zur Zulässigkeit der getätigten Geschäfte im Rahmen des Schulden – Portfolio, RA Dr. Alexander Schink, ist im Geschäftsbericht 2001 als Beiratsmitglied der WestLB aufgeführt. Das Gutachten kann damit nicht als unabhängiges Rechtsgutachten gelten.
Drittens, und das ist eigentlich das entscheidende bei dem Thema Zinsderivate, ist zu befürchten, dass ein erheblicher finanzieller Schaden für die Stadt droht, den die Kämmerei jedoch weiterhin abstreitet. Doch die hohen negativen Marktwerte von über 12.000.000,– € verdeutlichen den Risikogehalt der Geschäfte.
Mit dem negativen Marktwert ist ein Schaden leider bereits eingetreten, auch wenn er bei einem Swap nicht sofort zu begleichen ist. Dennoch wird der Rat von der Verwaltungsspitze immer noch lapidar ganz anders informiert. Auf Seite 206 der Ratsvorlage heißt es in der Stellungnahme der Verwaltung z. B.: „So entfallen z. B. von den negativen Marktwerten per 31. 12. 2011 = 12.798 T€ allein 6.926 T€ auf reine Zinssicherungen,, die – ähnlich der Marktwerte bei Darlehn, nicht von besonderer Relevanz sind “, weiter heißt es, „dass Marktwerte grundsätzlich nur begrenzte Aussagekraft und Bedeutung haben. Dies liegt zunächst daran, dass sie erst im wenig wahrscheinlichen Falle einer Auflösung fällig werden. Demgegenüber steht aber die in dieser Stellungnahme bereits angesprochene Durchhalteabsicht. Daneben enthalten die Marktwerte – wie ebenfalls bereits erwähnt – die Unterstellung, heute geltende Marktsituationen würden bis zum Ende der Laufzeit anhalten.“
Wenn die Kämmerei, wie oben zitiert, behauptet, dass die negativen Marktwerte ohne besondere Aussagekraft sind, spielt sie deren Bedeutung nur genau so herunter, wie dies die Banken typischerweise tun. Das ist die Argumentation, die Sprache der Swapanbieter.
Anderes ist über die Bedeutung der Marktwerte in der Zeitschrift „Der Neue Kämmerer“ vom Februar 2012 zu lesen:
„Durch die Lockzinsperiode sind Kommunen mit einem toxischen Swap häufig in den ersten Monaten nach Geschäftsabschluss hochzufrieden, ist es doch scheinbar tatsächlich gelungen, den Zinssatz des Kommunalkredits durch die anfänglich garantierten Ausschüttungen des Swaps zu optimieren. Dass dieser Zustand in aller Regel nicht lange anhält, zeigen jedoch die gemeldeten Marktwerte des Swaps, die für die Risiken nach Ablauf der Lockzinsperiode stehen. Bereits während der Lockzinsperiode erhebliche negative Marktwerte des Swaps berichtet zu bekommen mag einer Kommune paradox erscheinen – schließlich hat sie bisher mit dem Swap Geld verdient bzw. Zinsen eingespart. Konfrontiert die Kommune ihre Bank mit ihrer Unsicherheit wegen des negativen Marktwertes, spielt die Bank dessen Bedeutung typischerweise herunter. Dieser habe angeblich keine Relevanz, solange man das Geschäft bis zum Ende fortführen wolle. Schließlich handele es sich nur um den Preis für die vorzeitige Auflösung des Swaps.
„Dies ist jedoch mitnichten so! Der Marktwert ist vielmehr der Gegenwartswert aller zukünftigen Zahlungen. Aus Sicht der Kommune ist dies die Differenz aus den Beträgen, die sie von der Bank erhalten wird, und jenen, die sie an die Bank zu zahlen hat – und zwar auf heute diskontiert“.
Einen finanziellen Schaden für die Stadt vermuten die Grünen auch durch die fehlende Tilgungsmöglichkeit von bestehenden Darlehn. Denn bei einer Belegung mit Derivaten dürfen diese nicht getilgt werden. Die seit Jahren hohe Kassenliquidität in Lippstadt von deutlich über 20 Mio. Euro kann daher nicht zur Darlehntilgung genutzt werden. Durch die Differenz zwischen Anlageverzinsung und Darlehnzinsbelastung wäre pro Jahr eine Einsparung von rd. 600.000,–€ denkbar.
Die Grünen stellen hierzu zusammenfassend fest:
- Die Rechtfertigungsversuche der Verwaltung hinsichtlich der getätigten Geschäfte sind nicht überzeugend. Selbst wenn die Gemeindeprüfungsanstalt NRW Zins-Swap-Geschäfte empfahl, so legitimiert dies nicht, in der lt. Rechnungsprüfungsbericht beschriebenen Art, Risikogeschäfte am Rat vorbei zu tätigen. In Lippstadt ist besonders auffällig, dass abweichend von anderen Kommunen, die Risikogeschäfte in besonderem Maße ab 2008 begannen, zu einem Zeitpunkt also, als viele Kommunen schon reingefallen waren.
- In anderen Kommunen wie Pfortzheim, Hückeswangen, Olpe, Hagen, Riesa etc. wurden negative Marktwerte bei Swaps schon deutlich früher bekannt und als Risiko erkannt.
Abschließend ist noch zu erwähnen, dass es die Fraktion irritierend findet, dass der Kämmerer, Herr Strothmeier, seit mehreren Jahren Mitglied im Beirat für öffentliche Kunden der WestLB ist, wie die Grünen mittlerweile aus Berlin erfahren haben. Diese Beiratstätigkeit wurde von der Verwaltung gegenüber den Ratsmitgliedern nicht transparent gemacht. Auch nicht, als über die Klage gegen die WestLB zu entscheiden war. Die Frage, ob die Beiratstätigkeit nach § 95 der Gemeindeordnung im Jahresabschluss der Gemeinde am Schluss des Lageberichtes hätte mitgeteilt werden müssen, u. a. um auf mögliche Interessenkonflikte hinzuweisen, ist allerdings strittig. Dennoch drängt sich der Gedanke auf, dass im Rahmen der Behandlung des Zinsthemas in den Ausschüssen und im Rat darüber hätte Transparenz hergestellt werden müssen. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass Herr Strothmeier im Jahre 2008 in Münster zusammen mit den beiden Vertretern der WestLB, Herrn Dr. Steinhoff und Herrn Middendorf, über innovative Finanzprodukte für eine optimale Vermögensanlage referiert hat (Quelle Internet). Die Warnungen vor Derivaten, und die mittlerweile bundesweite Diskussion über diese Geschäfte, sind Herr Strothmeier, der als 1. stellvertretender Vorsitzender des Kämmererfachverbandes im Juni 2009 an einer Fachdiskussion des Bundes der Steuerzahler über die Risiken bei der Zinssteuerung teilgenommen hat, vermutlich nicht unbekannt.